FÜNF
»Was ist denn los mit dir und dem Neuen?«, fragt Haven, die herumtrödelt, während alle anderen ins Klassenzimmer eilen.
»Nichts.« Ich schüttele ihre Hand ab und stapfe weiter. Ihre Energie strömt durch mich hindurch, während ich zusehe, wie Roman, Miles und Damen lachen und so tun, als wären sie alte Freunde.
»Bitte.« Sie verdreht die Augen. »Es ist doch offensichtlich, dass du ihn nicht leiden kannst.«
»Das ist ja lächerlich«, sage ich, den Blick auf Damen fokussiert, meinen umwerfenden und hinreißenden Freund/ Seelenverwandten/ewigen Partner/Verbündeten (ich muss endlich mal das richtige Wort für ihn finden), der seit heute Morgen in Englisch kaum mit mir gesprochen hat. Und ich hoffe, der Grund dafür ist nicht das, was ich denke -mein Verhalten von gestern und meine Weigerung, mich auf dieses Wochenende festzulegen.
»Ich meine es total ernst.« Sie schaut mich an. »Es ist... es ist, als würdest du neue Leute hassen oder so.« Was wesentlich netter herauskam als die ursprünglichen Worte in ihrem Kopf.
Ich presse die Lippen aufeinander, schaue stur vor mich hin und verkneife es mir, mit den Augen zu rollen.
Doch sie starrt mich weiterhin an, die Hand auf eine Hüfte gestützt, während ihre dick geschminkten Augen unter der feuerroten Strähne in ihrem Pony hervorblinzeln. »Denn wenn ich mich recht erinnere, und du weißt, dass das stimmt, dann hast du auch Damen gehasst, als er neu an unsere Schule kam.«
»Ich habe Damen nicht gehasst«, sage ich und rolle nun doch mit den Augen, obwohl ich mir geschworen habe, es nicht zu tun. Dabei denke ich: Korrektur - ich habe nur so getan, als würde ich Damen hassen, während ich ihn in Wirklichkeit die ganze Zeit geliebt habe. Na ja, abgesehen von der kurzen Phase, in der ich ihn wirklich gehasst habe. Aber eigentlich habe ich ihn selbst da geliebt. Ich wollte es nur nicht zugeben ...
»Ähm, entschuldige bitte, aber da bin ich anderer Meinung«, sagt sie und lässt sich das kunstvoll zerzauste Haar ins Gesicht fallen. »Erinnerst du dich, wie du ihn nicht einmal zu deiner Halloween-Party eingeladen hast?«
Ich seufze, weil mich das alles dermaßen nervt. Ich will jetzt nur noch ins Klassenzimmer, damit ich so tun kann, als würde ich aufpassen, während ich telepathische Botschaften an Damen schicke.
»Ja, und wenn du dich erinnerst, war das auch der Abend, an dem es zwischen uns losging«, sage ich schließlich, obwohl ich es sofort bereue. Haven war diejenige, die uns knutschend am Pool gefunden hat, und es hat ihr fast das Herz gebrochen.
Doch sie ignoriert das Ganze und ist nun noch entschlossener, ihren Standpunkt zu verfechten, statt auf diesen Ausschnitt aus der Vergangenheit einzugehen. »Vielleicht bist du ja auch eifersüchtig, weil Damen einen neuen Freund hat. Du weißt schon, jemand anderen als dich.«
»Das ist ja lächerlich«, sage ich etwas zu schnell, um glaubwürdig zu sein. »Damen hat massenhaft Freunde«, füge ich hinzu, obwohl wir beide wissen, dass das nicht stimmt.
Sie sieht mich mit geschürzten Lippen an, völlig ungerührt.
»Er hat dich und Miles und ...« Und mich, denke ich, doch ich will es nicht aussprechen, weil es eine traurige kleine Liste ist, und genau das hat sie gemeint. In Wahrheit ist Damen ja nie mit Haven und Miles zusammen, es sei denn, ich bin auch dabei. Er verbringt jede freie Minute mit mir. Und wenn wir nicht zusammen sind, schickt er mir einen steten Strom von Gedanken und Bildern, um die Distanz wettzumachen. Es ist, als wären wir stets verbunden. Und ich muss zugeben, dass mir das gefällt. Denn nur bei Damen kann ich so sein, wie ich wirklich bin - mit meinem Gedankenhören, Energiespüren und Geistersehen. Nur bei Damen kann ich aus der Deckung kommen und mein wahres Selbst zeigen.
Allerdings muss ich mich zwangsläufig fragen, ob Haven nicht vielleicht doch Recht hat. Vielleicht bin ich ja eifersüchtig. Vielleicht ist Roman wirklich nur ein ganz normaler, netter Typ, der auf eine neue Schule gekommen ist und jetzt neue Freunde finden will - ganz im Gegensatz zu der gruseligen Bedrohung, die ich in ihm sehe. Vielleicht bin ich ja wirklich so paranoid, eifersüchtig und besitzergreifend geworden, dass ich mir automatisch einbilde, Damen würde mich gleich ersetzen, nur weil er nicht mehr ganz so auf mich fixiert ist wie sonst. Und wenn das der Fall ist, dann ist es einfach zu erbärmlich, um es zuzugeben. Also schüttele ich nur den Kopf und ringe mir ein falsches Lachen ab, ehe ich antworte. »Wieder lächerlich. Das ist doch alles total lächerlich.« Dann versuche ich so dreinzusehen, als würde ich das ernst meinen.
»Ja? Und was ist dann mit Drina? Wie erklärst du das?« Sie grinst. »Du hast sie vom ersten Augenblick an gehasst, versuch bloß nicht, das abzustreiten. Und als du dann herausgefunden hast, dass sie Damen kennt, hast du sie noch mehr gehasst.«
Ich winde mich innerlich unter ihren Worten - nicht nur, weil das alles stimmt, sondern weil mich der Name von Damens Exfrau regelmäßig zusammenzucken lässt. Ich kann nichts dagegen tun, es ist einfach so. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das Haven erklären soll. Sie weiß lediglich, dass Drina vorgetäuscht hat, ihre Freundin zu sein, ehe sie sie auf einer Party sitzen ließ und dann für immer verschwand. Sie kann sich nicht daran erinnern, dass Drina sie mit der giftigen Salbe für das gruselige entzündete Tattoo umbringen wollte, das sie sich neulich vom Handgelenk hat entfernen lassen, und sie weiß auch nicht mehr ...
0 mein Gott! Die Salbe! Roman hat Miles eine Salbe für seinen Pickel gegeben! Ich wusste gleich, dass irgendetwas an ihm merkwürdig ist. Ich wusste, dass ich mir das nicht einbilde!
»Haven, was für ein Fach hat Miles gerade?«, frage ich, während ich mit den Augen den Campus absuche. Doch ich kann ihn nicht ausmachen und bin zu sehr in Eile, um die Fernwahrnehmung einzusetzen, die ich ohnehin noch nicht richtig beherrsche.
»Englisch, glaube ich, warum?« Sie mustert mich befremdet.
»Ach, nichts. Ich muss ... muss jetzt los.«
»Okay. Wie du meinst. Aber nur, dass du es weißt, ich glaube immer noch, dass du neue Leute hasst!«, schreit sie.
Die Worte bleiben hinter mir zurück. Ich bin bereits weg.
Ich sprinte über den Campus, konzentriere mich auf Miles' Energie und versuche zu erspüren, in welchem Klassenzimmer er ist. Und als ich um die Ecke biege und eine Tür zu meiner Rechten sehe, platze ich, ohne nachzudenken, hinein.
»Kann ich dir helfen?«, fragt der Lehrer und wendet sich mit einem abgebrochenen Stück weißer Kreide von der Tafel ab.
Ich stehe vor der Klasse und werde verlegen, als ein paar von Stacias Lakaien sich über mich lustig machen, während ich versuche, wieder ruhiger zu atmen.
»Miles«, keuche ich und zeige auf ihn. »Ich muss Miles sprechen. Es geht ganz schnell«, verspreche ich, als der Lehrer die Arme verschränkt und mich skeptisch beäugt. »Es ist wichtig«, füge ich hinzu und sehe Miles an, der inzwischen die Augen geschlossen hat und den Kopf schüttelt.
»Du hast bestimmt eine schriftliche Erlaubnis, deine Klasse verlassen zu dürfen, oder?«, fragt sein Lehrer, ein richtiger Prinzipienreiter.
Und obwohl ich weiß, dass es ihn womöglich verärgert und sich letztlich zu meinem Nachteil auswirken könnte, habe ich keine Zeit, mich mit all diesem Papierkrieg zu befassen, mit dieser Schulbürokratie, die unser aller Sicherheit garantieren soll, mich jedoch in diesem Moment daran hindert, eine Sache zu klären, in der es um Leben und Tod geht!
Oder zumindest gehen könnte.
Ich weiß es nicht genau. Doch ich würde es gerne herausfinden.
Ich bin so frustriert, dass ich bloß den Kopf schüttele. »Hören Sie«, sage ich, »Sie wissen so gut wie ich, dass ich keine Erlaubnis habe, aber wenn Sie so nett wären, mich ganz kurz draußen mit Miles sprechen zu lassen, schicke ich ihn sofort wieder rein.«
Er sieht mich an, während er in Gedanken die Alternativen durchgeht, all die verschiedenen Möglichkeiten, wie das hier weitergehen könnte: mich rauswerfen, mich zurück in mein Klassenzimmer begleiten, mich zu Direktor Buckleys Büro bringen - ehe er Miles ansieht und seufzt. »In Ordnung. Aber beeilt euch.«
Sowie wir im Flur sind und sich die Tür hinter uns schließt, sehe ich Miles an und sage: »Gib mir die Salbe.«
»Was?« Er schaut verständnislos.
»Die Salbe. Die dir Roman gegeben hat. Gib sie mir. Ich muss sie mir ansehen.« Dabei strecke ich die Hand aus und wackele mit den Fingern.
»Bist du verrückt?«, flüstert er und sieht sich um, obwohl um uns herum nichts als graubraune Wände sind.
»Du hast keine Ahnung, wie ernst die Sache ist«, sage ich, ohne den Blick von ihm zu wenden. Ich will ihm keine Angst einflößen, doch wenn es sein muss, tue ich es. »Jetzt mach schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Die ist in meinem Rucksack«, sagt er achselzuckend.
»Dann hol sie.«
»Ever, mal im Ernst. Was zum Teufel ist los?« Ich verschränke nur die Arme und nicke. »Geh schon. Ich warte.«
Miles schüttelt den Kopf und verschwindet im Klassenzimmer. Kurz darauf kehrt er mit saurer Miene und einer kleinen weißen Tube auf der Handfläche zurück. »Hier. Zufrieden?« Er wirft sie mir zu.
Ich fange die Tube auf und untersuche sie, indem ich sie zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her drehe. Es ist eine Marke, die ich kenne, aus einem Laden, in dem ich auch einkaufe. Und ich begreife nicht, wie das sein kann.
»Nur für den Fall, dass du es vergessen hast, ich habe morgen Premiere und brauche jetzt wirklich nicht noch mehr Drama und Stress, also falls es dir nichts ausmacht ...« Er streckt die Hand aus und wartet darauf, dass ich ihm die Salbe zurückgebe, damit er wieder in seine Klasse gehen kann.
Nur bin ich nicht bereit, sie ihm gleich wiederzugeben. Ich suche nach einer Art Einstichloch oder Bohrspuren, nach einem Beweis dafür, dass die Tube manipuliert worden ist, dass sie nicht das ist, was sie zu sein scheint.
»Ich meine, als ich heute Mittag gesehen habe, dass du und Damen eure ewige Knutscherei ein bisschen runtergefahren habt, wollte ich euch schon dafür beglückwünschen, aber jetzt hast du es anscheinend durch etwas viel Schlimmeres ersetzt. Also ehrlich, Ever. Entweder schraubst du jetzt die Tube auf und benutzt sie oder du gibst sie mir wieder.«
Doch ich gebe sie nicht zurück. Stattdessen schließe ich die Finger um die Tube und versuche, ihre Energie zu lesen. Aber es ist nur eine blöde Pickelcreme. Die Sorte, die tatsächlich wirkt.
»Sind wir hier fertig?« Er sieht mich finster an.
Achselzuckend gebe ich ihm die Tube zurück. Zu sagen, dass mir das Ganze peinlich ist, wäre noch untertrieben.
Während Miles die Salbe einsteckt und auf die Tür zugeht, muss ich ihn noch etwas fragen. »Dann ist es dir also aufgefallen?« Die Worte fühlen sich in meiner Kehle heiß und klebrig an.
»Was soll mir aufgefallen sein?« Er bleibt stehen, unübersehbar genervt.
»Das, ähm, Fehlen der ewigen Knutscherei?«
Miles dreht sich um und rollt theatralisch mit den Augen, ehe er mich unverwandt ansieht. »Ja, das ist mir aufgefallen. Ich dachte, ihr beiden nehmt meine Drohung eben ernst.«
Ich sehe ihn an.
»Heute Morgen - als ich gesagt habe, Haven und ich würden streiken, bis ihr beiden mit eurer ewigen ...«Er schüttelt den Kopf. »Egal. Darf ich jetzt bitte in mein Klassenzimmer gehen?«
»Tut mir leid.« Ich nicke. »Entschuldige bitte den ganzen ...«
Doch noch ehe ich ausreden kann, ist er weg, und die Tür hat sich fest zwischen uns geschlossen.